Title | : | Ein sterbender Mann |
Author | : | |
Rating | : | |
ISBN | : | 3498073885 |
ISBN-10 | : | 9783498073886 |
Language | : | German |
Format Type | : | Hardcover |
Number of Pages | : | 288 |
Publication | : | First published January 8, 2016 |
Eines Tages, er wieder an der Kasse, löst eine Kundin bei ihm eine Lichtexplosion aus. Seine Ehefrau glaubt, es sei ein Schlaganfall, aber es waren die Augen dieser Kundin, ihr Blick. Sobald er seine Augen schließt, starrt er in eine Lichtflut, darin sie. Ihre Adresse ist in der Kartei, also schreibt er ihr – jede E-Mail der Hauch einer Weiterlebensillusion. Und nach achtunddreißig Ehejahren zieht er zu Hause aus. Sitte, Anstand, Moral, das gilt ihm nun nichts mehr. Doch dann muss er erfahren, dass sie mit dem, der ihn verraten hat, in einer offenen Beziehung lebt. Ist sein Leben “eine verlorene, nicht zu gewinnende Partie"?
Martin Walsers neuer Roman über das Altsein, die Liebe und den Verrat ist beeindruckend gegenwärtig, funkelnd von sprachlicher Schönheit und überwältigend durch seine beispiellose emotionale Kraft.
Ein sterbender Mann Reviews
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„Schönheit gilt“ - schreibt Martin Walser zu Beginn seines Alter-Alterswerks „Ein sterbender Mann“. Das hier vorliegende Buch kann nicht gemeint sein, denn dieser psychologische Briefroman, eine Art Anleitung zum Unglücklichsein, ist misslungen.
Stilistisch zwar großartig, inhaltlich jedoch trivial bis zum Unerträglichen, lässt er seinen Protagonisten, den Autor Theo Schadt [!], im schriftlichen Dialog mit seinem Alter Ego und mit anderen Unglücksgefährten, sein ganzes Leid schildern (klischeehaft zusammengesetzt aus dem treulosen Freund, der dümpelnd-watteweichen Ehe, und ja - einer schlimmen Erkrankung). In endlos eitlem Gerede gibt dieser sich nun dem so typisch deutschen persönlichem Weltschmerz und Todeswunsch hin. Und das heißt Jammern auf hohem, überstrapazierendem Niveau. Man quält sich völlig ungerührt und mit viel Disziplin durch das unsägliche Romangeschehen und merkt doch dem Werk jederzeit das Bemühen, ja das Ringen um den großen Wurf an.
Nur im vom sonstigem Geschehen losgelösten Mittelteil - in den „Berichten an die Regierung“ und in dem freien Gedankenstrom „Ums Altsein“ - hat Walser wirklich Maßgebliches zu sagen. Hier ist er auf wenigen Seiten authentisch, wahr, brillant. Das mag für Feuilleton und Aphorismen reichen, für einen ganzen, für einen guten Roman reicht es nicht. -
Es gab verschiedene sentenzhafte Stellen, an denen ich meine Lektüre gerne abgebrochen hätte:
"Verstanden zu werden von jemandem heißt, einem anderen unverständlich zu werden. Wenn das so ist, eine Welt, in der man immer nur von einem Menschen verstanden werden kann, dann ist diese Welt alles, was nicht der Fall sein soll."
Und dann die ganz schlimmen Liebeserklärungen, die wohl zwischen ernstem und ironischem Klischee hin- und herschaukeln sollen, aber einfach nur unerträglich sind:
"Wenn ich an dich denke, wäre ich immer gern ein Dichter."
"Die Vernunft tanzt auf dem Trampolin Tango."
"Aber im Konjunktiv darf ich dich lieben! Dafür gibt es doch den Konjunktiv! Ich würde würde würde mit dir abhauen ins Nirgendwo! Schwimmen würde ich mit dir ins Märchenmeer."
Das, was von Rezensenten als "todesklug" gelobt wird, sorgt für allzu aufgeladene Tiefsinnigkeit, hinter der sich rein gar nichts verbirgt. Mein Anti-Lieblingszitat:
"Das Alter ist eine Wüste. Darin eine Oase, heißt Tod."
"Lebenskluges" Fazit: Das Leben ist eine Bibliothek. Darin ein schlechter Roman, heißt "Ein sterbender Mann". Schade. -
20.03.2016 Ich habe Walser geliebt und trotzdem schon so lange keinen Roman mehr von ihm gelesen. Das ändere ich jetzt und freue mich schon sehr darauf.
26.03.2016 Das war jetzt fast schon eine Überdosis Walser. Warum hat noch nie jemand walseresk über die Figuren und handlungsführung in den Romanen Martin Walsers geschrieben? Vor allem, weil sich offenbar mit jedem weiteren Lebensjahr bei M. Walser eine Dramatisierung eine Zuspitzung des walseresken ereignet. Walser Helden wehren sich gegen das gesellschaftlich Erwünschte und stellen mutig und verliererisch ihre eigenen Vorstellungen von sich selbst und vom Glück dagegen. Aber solch einen egoshooterhaften Text habe ich noch nicht von ihm gelesen. Offenbar habe ich durch meine Ignoranz, vor allem in den zuletzt erschienen Romanen einiges versäumt. Das werde ich nachholen. Denn so klug und selbstreflexiert, egal ob er sich damit ins Unrecht setzt oder sonstwie gesellschaftliche Konventionen verletzt, schreibt (so weit ich bisher gelesen habe) kein anderer deutscher Autor. -
Eins dieser Bücher, die grandios durch ihren Stil sind. Es sind gedankliche Ausschnitte der Hauptperson, die immerwieder Briefe schreibt oder so Anekdoten erzählt. Im stream-of-consciousness Stil, verschachtelte, intelligente Sätze. Man wird in eine Gedankenwelt eines Menschen geführt, die sich mit dem sensiblen Thema "(romantisierter) todeswunsch im Alter" auseinandersetzt. Es ist kein lustiges Buch, aber auf die Art wie die Hauptfigur redet und agiert doch amüsant. Und die Sprache ist ein Fest. Also zu empfehlen für jeden, der gerne Gedanken und Weltansichten von Romanfiguren folgt.
Das Buch ist ziemlich sicher Geschmackssache, aber bei mir hat es Lieblingsbuchcharakter. -
Zu Beginn tatsächlich fesselnd, wird der Roman ab dem zweiten Drittel immer verworrener. Die Protagonisten haben sich durch ihre gewaltigen Wortspiele und ihre poetischen, aber inhaltsleeren Monologe und Dialoge so weit von mir als Leser entfernt, dass ich das Interesse verloren habe. Am Ende waren mir Theo, seine Iris, seine Sina und der Verräter Kroll egal und der Kampf mit diesem Roman zum Glück vorüber.
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In order to write my commentary on this novel, I opened a book J. L. Harrison, Ancient Art and Ritual, Oxford, 1913. I think this is a contemporary style of performative art in some imitation of Greek rituals.
That is, today, we can easily discern the allegorical differences between Nietsche's wiedergeburt and Dante's Vita Nova, because both notions in tragedy’s conceptualization were from the beginning conceptualized so in their particular theatrical tones that nobody could succeed ever. -
Ich bin am Ende der Lektüre teils positiv überrascht, teils gespalten
Walser erzählt von einem geplanten Selbstmord. Vorangegangen ist der Verrat der Hauptperson durch den ehemals besten Freund - wobei nicht der Verrat als ursächlich für die Suizidabsicht geschildert wird, sondern die Tatsache, dass eine Welt, in der diese Handlung an der Hauptperson Theo Schadt möglich sei, für diesen nicht mehr lebenswert bleibe – und das, obwohl dieser Verrat nicht nur die persönliche, emotionale Ebene betrifft, sondern existentiell eine bedeutende Investition und Geschäftsgründung zum weitreichenden Totalverlust führt.
Jetzt möchte ich nicht Selbstmord an sich verteufeln - ich kann durchaus tödliche Krankheiten nachvollziehen, Depressionen, die Angst vor leidvollem Sterben - hier spielt sich jedoch der Zustand des persönlichen Affronts, des schlichten Beleidigtseins sehr in den Vordergrund. Existenzängste als Grund für einen Selbstmord werden von Theo Schadt selbst bestritten. Jedoch: Auch hier war ich noch bereit, zu folgen: ich hätte noch nachvollzogen, wenn es um ein „Leiden an der Schlechtigkeit der Welt an sich“ ginge; denn wer möchte ertragen wollen, wenn es um ihn herum nur Willkür gäbe, ohne Chance des Entkommens. Dann dachte ich mir, dass es natürlich nur immer um das gehen könne, was hier der einzelne empfindet, wolle man ihm nicht auch noch seine Individualität rauben, ihm nur eine quasi gesellschaftlich konform gehende Existenz zugestehen.
Sprachlich wurde ich in das Buch hineingezogen, zum Thema passend erschienen mir sowohl Briefroman als auch Ich-Erzähler. Walser erweitert das Thema, indem er parallel mehrere Briefromane laufen lässt, und wechselt vom Ich-Erzähler über ein sehr kurzes "Du" zum "Er". Das offen erklärte Ziel ist die Distanz, und auch wenn man sich als Leser über diesen Kunstgriff als aufgeklärt empfindet, wirkte das überraschend deutlich auf mich, ich blieb weiter am Ball. Verwundert nahm ich war, dass mich einzelne Passagen durchaus köstlich amüsierten, so die Preisverleihung an den früheren Freundes als Jahrmarkt der Eitelkeiten im Literaturbetrieb inklusive einer Lesung mit, ja, pseudo-poetischen schönen Worten ohne jeglichen erkennbaren Sinn. Ich mag nicht die einzige sein, die hier an Hape Kerkelings geniales "Hurz" dachte, Sinnfreies bierernst vorgetragen vor einer Zuhörerschaft, die unbedingt einen Sinn erkennen will; oder an Loriots "Krawehl, Krawehl".
Infolge geht das Geschehen dann doch sehr in die Meta-Ebene, wird durch die Tatsache, dass der Ich-/Er-Erzähler in einem " Thread" des Briefromans wohl mit sich selbst oder dem Autor kommuniziert quasi "Meta-Meta" - hinzukommt die ständige, fast zwanghaft wirkende dreifach-Wiederholung, zum Beispiel "ja, ja, jaaaa" sowie das Stilmittel, etwas auszusprechen, wieder zurückzuziehen, ja, eine Nicht-Beachtung durch das briefliche Gegenüber eloquent einzufordern, also "denk' nicht an einen rosa Elefanten"? Das ist sprachlich meisterhaft, als Stilmittel versiert - wirkt aber auf mich gerade im mittleren Teil zunehmend ähnlich selbstverliebt wie das vorhergetragene Leiden des "Sujets". Etwas „zu Meta“.
Und dann, gerade als ich schon fast bereit war zur Kapitulation nach einer seitenlangen Schilderung über einen Traum als Fortsetzungsgeschichte, auch aufgrund der von mir als immer anstrengender empfundenen Windungen der Sprache, deren Ziel ich dabei aus den Augen verlor, wieder Kleinode, „Ums Altsein“ ebenso wie die folgende sprachliche „Entknotung“, ja, teilweise Konkretisierung. Was am Ende der Lektüre bleibt, ist das Gefühl, sprachliche Meisterschaft ebenso erlebt zu haben, wie die Fähigkeit, im gleichen Text sowohl zu amüsieren, betroffen zu machen, den Leser hineinzuziehen – oder ihn mittendrin völlig zu verlieren, zu überfrachten mit stilistischen Mitteln. Bitte, mehr Walser – aber weniger „Walser um seines Walser-Seins willen“. Ein liebender Mann oder Ein fliehendes Pferd?