Title | : | Maifliegenzeit |
Author | : | |
Rating | : | |
ISBN | : | 3641306108 |
ISBN-10 | : | 9783641306106 |
Language | : | German |
Format Type | : | Kindle Edition |
Number of Pages | : | 161 |
Publication | : | Published March 13, 2024 |
Maifliegenzeit Reviews
-
"Maifliegenzeit" von Matthias Jügler ist ein leises und eindringliches Buch. Es ist nicht geeignet für laute Zugfahrten oder Musik im Hintergrund. Der Roman erfordert Stille. Es ist eine Lektüre, die traurig und glücklich zugleich macht. Es ist eine der bisher besten deutschsprachigen Neuerscheinungen des Jahres 2024.
Der Ich-Erzähler erinnert sich an seinen Vater und an seinen Sohn. Sein Sohn ist direkt nach der Geburt im Mai 1978 gestorben. Das glaubte der Erzähler jedenfalls damals. Mittlerweile ist er fünfundsechzig Jahre alt und lebt mit Anne im alten Haus der Eltern. Seine Beziehung zu Katrin ist am Tod Daniels zerbrochen. Sie hatte Zweifel. Er hat nach ihrem Dafürhalten nichts getan. Katrin ist 1987 gestorben. Dann ruft Daniel an, der angeblich verstorbene Sohn.
Die Natur um den Fluss Unstrut mit Knaulgras, Flatterbinsen oder Schwarzpappeln ist wichtig für den Ich-Erzähler. Trotzdem kann sie nicht die Hoffnungen erfüllen. "Dass ich tatsächlich geglaubt hatte, mir könnte der Fluss einen wie auch immer gearteten Trost verschaffen, war nichts weiter als kindisch und naiv gewesen." Die Welt der Fische ist wie eine Spiegelung der Menschenwelt, auch wenn nie ein direkter Vergleich gezogen wird. Und natürlich haben die Maifliegen eine ganz besondere Bedeutung, die hier aber nicht verraten sei.
In die Trauer mischt sich die Schuld, nichts getan zu haben. Zu DDR-Zeiten wäre es wohl auch schwierig gewesen. Nach der Wiedervereinigung fragt der Ich-Erzähler Einsicht in die Krankenhausakten an, lässt sich aber abwimmeln. Erst 2007 durch den Druck von Anne bekommt er Kopien der widersprüchlichen Unterlagen. Die Suche beginnt und endet erfolglos. Dann der Anruf. Hier beginnt der zweite Teil des Buches. Nun erst bekommt der Ich-Erzähler einen Namen. Was dann folgt, werde ich aus Spoiler-Gründen nicht beschreiben. Nur soviel: das ohnehin schon großartige Buch wird noch besser.
Die Geschichte ist ergreifend und gleichzeitig poetisch und unsentimental. Das Buch entfaltet eine große emotionale Wirkung mit sehr einfachen Mitteln. Romane wie diese sind der Grund dafür, dass ich Literatur lese. -
In „Maifliegenzeit“ beschäftigt sich Matthias Jügler mit einem spannenden und bewegenden Teil der ostdeutschen Geschichte und erzählt über ein dunkles Kapitel der DDR.
„"Daniel hat angerufen", sagte sie, mit trockener und brüchiger Stimme. Daniel, mein einziges Kind, das seit 40 Jahren tot ist (…). Sie sagte das in einem Ton, der sowohl feierlich als auch besorgt klang, als wüsste sie nicht, wie ich reagieren würde (…) was diese drei Worte auslösen würden.“
Diese Zeilen werfen natürlich die Frage auf, was wohl bei Daniels Geburt passiert ist. Wir erfahren vom Ich-Erzähler Hans, dass sein Sohn kurz nach der Geburt gestorben ist. Mittlerweile ist er nicht mehr mit seiner damaligen Ehefrau Katrin liiert, sondern hat eine neue Partnerin zehn Jahre zuvor kennengelernt. Doch er denkt zurück an den Tag der Geburt und führt sich Katrins Zweifel vor Augen: Warum durften sie das Kind nicht sehen? Es hatte doch kräftig geschrien.. Der pensionierter Lehre Hans unterschrieb damals mitteilnahmslos die vorgelegten Formulare und beschwichtigte die wiederkehrenden Zweifel seiner Frau - sie solle die Wahrheit akzeptieren - was schlussendlich zu einer Trennung führte.
Kurz vor ihrem Tod, Jahre später, bat Katrin Hans den mysteriösen Umständen des Todes ihres Kindes nachzugehen. 1989 mit der Wende erfährt er durch die Geburtsklinik, dass Akten existieren, aber er sie nicht einsehen darf. Eine Rechtsmedizinerin, die zunächst ihre Hilfe suggerierte, revidierte diese dann doch, was zu einer Resignation von Hans führte.
Die Anglerei bot ihm die gesuchte Ablenkung, die gleichzeitig auch eine zweite Ebene für den Autor Matthias Jügler in dieser Geschichte darstellte. Für mich leider jedoch eine Ebene, die absolut überrepräsentiert war in diesem Buch. Ich hätte mir weniger Fisch und mehr ostdeutsche Geschichte, bzw. eine andere Art der Versinnbildlichung gewünscht, da das Thema meiner Meinung nach viel zu viel Raum eingenommen hat in einem Buch, in dem ich mehr über das Verschwinden eines Kindes in der DDR und die diversen Strukturen, die so etwas möglich machten, erfahren wollte - schade! Hans sitzt also tagelang am Fluss, sinniert über das Erscheinungsbild und sämtliche Eigenarten von Fischen.
„Die prahlen mit ihrer Schönheit - die rotflossige und golden glänzende Rotfeder zum Beispiel, oder die Äsche, die ihre große, fahnenartige Rückenflosse stolz wie einen Irokesenschnitt trägt (…) Brassen hingegen halten sich in diesen Dingen bedeckt.“
Als Hans seinen verschollenen Sohn ausfindig macht, bleibt dieser zunächst reserviert. Erst vor kurzem hat er von seiner Adoption erfahren - durch einen Auszug aus dem Geburtenregister, den er aufgrund seiner Heirat benötigte. Hans’ Erklärung über ihn, den totgeglaubten Sohn, nimmt er ihm nicht ab - er ist empört, da er die ganze Zeit mit einer anderen Geschichte lebte.
Die reichlichen Naturbeschreibungen muten als Allegorie dessen an, was sich zwischen Vater und Sohn abspielt - eine spannungsgeladene Geschichte nimmt ihren Lauf. Die titelgebenden Maifliegen führen ein Leben im Verborgenen. Um Pfingsten herum aber kommen sie zu Tausenden an die Oberfläche, um sich zu paaren, Eier zu legen und zu sterben: ein Fest für Fische und Angler. Die Maifliegen sind die Versinnbildlichung eines Toten, der eines Tages überraschend anruft und damit ebenfalls aus dem Verborgenen heraustritt.
Der Autor Matthias Jügler thematisiert mit „Maifliegenzeit“ das unrühmliche Kapitel der Zwangsadoptionen, bei denen man Eltern, die als „ Staatsfeinde“ galten, ihre Kinder wegnahm und zur Adoption freigab - ein realer Fall stellt die Grundlage seines Romans dar. Für mich ein Thema, über das ich mit diesem Buch das zum ersten Mal etwas las und was mir vor Augen führte, wie schwer es sein kann, eine einmal verinnerlichte Wahrheit zu revidieren - aber was mir auch verdeutlichte: Es lohnt sich. -
!ein Lesehighlight 2024!
Klappentext:
„Für Katrin und Hans wird der Alptraum aller Eltern wahr: Nach der Geburt verlieren sie noch im Krankenhaus unweit von Leipzig ihr erstes Kind – und kurz darauf auch sich als Paar. Denn Katrin quälen Zweifel an der Darstellung der Ärzte, Zweifel, von denen Hans nichts wissen will. Als Katrin Jahre später stirbt, wird klar, dass sie mit ihren Befürchtungen womöglich Recht hatte. Bei seinen Recherchen, die ihn tief in die Geschichte der DDR führen, stößt Hans auf Ungereimtheiten und eine Mauer des Schweigens. Klären kann er all seine Fragen in Zusammenhang mit dem Tod des Säuglings nicht, doch der Gedanke daran, in einem entscheidenden Moment seines Lebens versagt, etwas versäumt, einen Fehler begangen zu haben, lässt ihn künftig nicht mehr los. Da klingelt eines Tages das Telefon und sein Sohn ist am Apparat. Aufgewachsen in einer Adoptivfamilie, unterscheidet sich seine Vorstellung von der Vergangenheit grundlegend von dem, was Hans ihm erzählt. Wird sich die Kluft, die das Leben in einem Unrechtsstaat und vierzig fehlende gemeinsame Jahre gerissen haben, wieder schließen lassen?“
Welche bewegendes und tief-in-der-Wunde-bohrendes Buch hier auf die Leserschaft wartet. Es war wahrlich besonders zu lesen und dennoch für mich auch nicht. Als Kind der DDR erschütterte mich diese Geschichte nur bedingt, denn fest steht, solche Fälle wie uns Autor Matthias Jügler hier erzählt, gab es leider zuhauf. Selbst im Bekanntenkreis meiner Familie ist so ein „mysteriöser“ Fall bekannt, der bis heute nicht geklärt ist. Ich betrachte dieses Buch also recht „objektiv“, sage aber klar aus, Jügler hat hier durch seinen besonderen Ton und die Wahl seiner Worte und Emotionen eine ganz besondere Geschichte erzählt die tief unter die Haut geht und keinesfalls den Leser kalt lässt. Einige Geschichten dazu sind öffentlich bekannt aber viele leider nach wie vor unter dem Deckmantel des Schweigens begraben. Eine Auflösung wird es wohl in den allermeisten Fällen nie dazu geben.
Unsere Protagonisten Katrin und Hans sind an diesem Alptraum als Paar zerbrochen. Hans‘ Geschichte weiter zu folgen ist absolut lesenswert, da hier extreme psychologische aber auch philosophische Parts mit einfließen. Dass dieser Roman nachhallt, ist von Beginn an einleuchtend. Fakt ist, es ist eine von sehr vielen solcher Geschichten aber dies ist keine negative Verurteilung für dieses Buch. Ganz im Gegenteil. Über diese Taten von damals muss stets berichtet werden, denn was damals in der DDR diesbezüglich geschah, ist absolut menschenunwürdig und sollte verurteilt werden. Jügler hat es jedenfalls absolut bravourös geschafft, hier eine von eben ganz vielen Geschichten sehr packend und emotional zu erzählen, dass der Leser gar nicht anders kann als dieses Buch zu verschlingen. Jügler beleuchtet aber nicht nur das Grauen sondern bringt auch wirklich wunderschöne natürliche Momente in diese Geschichte. So wie er die Natur und die Örtlichkeiten beschreibt, muss eine ganz tiefe Verbundenheit in ihm herrschen. So kann man nur schreiben wenn man diese Themen auch im Herzen trägt. Ich bin wirklich tief beeindruckt wie Jügler hier die Verbindungen zu alle dem knüpft und eben diesen besonderen Ton anschlägt. Das ist alles wirklich bemerkenswert austariert und frei von jeglichem Kitsch oder Klischee. Sie merken schon, dieses Buch muss man lesen und die 5 Sterne hat es absolut verdient. Ganz klare Leseempfehlung hierfür! -
Ich dachte, das ist ein Bücher über gestohlene Kinder in der DDR, bekommen habe ich nur Fische, Fische, Fische und nochmal Fische. Davon steht nichts im Klappentext, dabei scheint es auf der Hälfte der nur 150 Seiten um die Viecher zu gehen. Was man von den menschlichen Charakteren auf dem Rest zu sehen kriegt, bleibt ebenfalls öde.
Einige Male fand ich es ja toll, wenn Autor*innen ein Spartenthema in ihrem Roman ausgebreitet und bildhaft in die Geschichte eingearbeitet haben, weshalb ich es auch für eine völlig legitime Technik halte, aber dazu gehört auch das Risiko, dass einige Leser*innen mit dem jeweiligen Spartenthema nichts anfangen können. So wie ich hier mit den Fischen; bei so wenig Interesse konnte ich auch nicht die Energie aufbringen, zu versuchen, die Metaphorik zu durchleuchten. -
Sehr fischig. Hab bissi geweint ㅤᵕ̈
-
Nahe Leipzig im Jahre 1978 durchlebt das Paar Katrin und Hans den tragischen Verlust ihre neugeborenen Sohnes, doch in Katrin regen sich schnell Zweifel am Schicksal ihres Kindes und so beginnt eine Geschichte die sich erst Jahrzehnte später aufklären soll.
Maifliegenzeit ist ein Buch, dass, trotz seiner Kürze, Geduld braucht. Man muss sich die Ruhe nehmen um sich auf die Melancholie einzulassen die einen von Anfang bis Ende begleitet und vor allem muss man sich die Zeit nehmen um die Naturbeschreibungen von Matthias Jügler zu genießen.
Der Kontrast zwischen der lebhaften Natur und den relativ kühlen, ja fast schon emotionslosen, zwischenmenschlichen Beziehungen bilden die große Stärke dieses Romans und wecken in der Leserschaft die verschiedensten Gefühle. Allerdings komme auch ich nicht umher zu sagen, dass Matthias Jügler es mit seinen Fisch-Anekdoten etwas übertreibt, denn auch wenn diese immer einen Bezug zur eigentlichen Handlung haben nehmen sie doch einen zu dominanten Anteil in einer relativ kurzen Geschichte ein und ich kann nachvollziehen, dass das einigen zu viel wurde.
Insgesamt erzählt Matthias Jügler hier aber in seiner ruhigen und zurückhaltenden Art eine ergreifende Geschichte voller Verlust und Zweifel, die sich trotz allem nie völlig hoffnungslos anfühlt. -
Grandios erzählt.
-
Na een boek gelezen te hebben over een moeder die haar kind achterlaat, is het het toevallig maar ook verwarrend een boek te lezen over ouders die hun kind na de geboorte denken te verliezen, maar dat blijkt doodverklaard en ter adoptie aangeboden te zijn, beide in de DDR. De gevoelens, de irritatie die de lethargische reactie van de vader oproept, de lijn die van vader op zoon doorgegeven lijkt te worden, de uitkomst die vissen/hengelen op gevoelens lijkt te hebben is echt bijzonder en bijzonder mooi beschreven.
-
Ein unglaublich bewegendes, berührendes und auch sprachlich wunderschönes Hörbuch, das die Verbrechen der gestohlenen Kinder in der DDR aufarbeitet. Mein Highlight dieses Jahr, auch wenn es sich um ein dunkles Kapitel der Geschichte handelt!
-
4,5 Sterne